Gelder für psychisch Kranke fremdverwendet

Die Personalausstattung nach der Psych-PV wird in den psychiatrisch-psychotherapeutischen Kliniken in der Bundesrepublik nur zu etwa 90% erfüllt. Das hat die im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums durchgeführte bundesweite Umfrage zur Evaluation der Psych-PV durch die Aktion Psychisch Kranke ergeben; dass die Personalstellen gemäß Psych-PV in bedrohlicher Weise unterfinanziert sind. Die Kliniken können die notwendige Personalausstattung nicht mehr vorhalten.

Den psychisch kranken Menschen werden dadurch bezogen auf das Jahr 2004 etwa 260.000.000 € vorenthalten. Bei betriebswirtschaftlichen Betrachtung könnte herausgefunden werden, dass die Bundesdeutsche Psychiatrie und Psychotherapie der Regelversorgung mit etwa 1 Milliarde EURO/Jahr die anderen Bereiche des Gesundheitswesens quersubvetioniert – d.h. auf Kosten von psychisch kranken Menschen. Ein Umstand der weder tragbar noch für eine humane Gesellschaft mit sozialen Anspruch verständlich ist.

Der Grund für die allgemeine Absenkung der Personalausstattung ist eine seit über 10 Jahren gültige Regelung der Bundespflegesatzverordnung (BPflV § 6 Abs.2). Sie hat bewirkt, daß die in den jährlichen Budgetverhandlungen der Krankenhäuser maximal erreichbaren Budgetzuwächse seit Jahren regelmäßig bedeutend unter den tariflich bedingten Personalkostensteigerungen geblieben sind. In einem Teil der Kliniken bestehen mittlerweile z.T. erhebliche Personalengpässe, wie man sie aus der Zeit vor Einführung der Psych-PV kennt. Die psychiatrisch-psychotherapeutischen Kliniken hat infolge des sehr hohen Personalkostenanteils (ca. 80%) die „BAT-Schere“ stärker betroffen als die somatischen (hier Personalkostenanteil ca. 65%). Auf diese Weise ist das Gebot der Gleichbehandlung psychisch und somatisch Kranker de facto unterlaufen worden.

Zusätzlich hat eine ausgeprägte Leistungsverdichtung in den psychiatrisch-psychotherapeutischen Kliniken seit Einführung der Psych-PV stattgefunden. Im Zeitraum 1991–2004 stiegen die Fallzahlen erheblich; die Verweildauern, die Pflegetage und die aufgestellten Betten gingen deutlich zurück. Es kamen zeitintensive Pflichtaufgaben ohne Gegenfinanzierung hinzu (Qualitätssicherung, Dokumentation, erweiterte Weiterbildungsanforderungen).

In den psychiatrisch-psychotherapeutischen Kliniken ist die Zeit des therapeutischen Personals für Patienten (und Angehörige) das entscheidende Kriterium der Strukturqualität. Sie kann nicht beliebig verkürzt, komprimiert oder beschleunigt werden. Trotz erfolgter zum Qualitätserhalt beizutragen haben. Die erfolgten energischen Anstrengungen zur Prozessoptimierung können nicht mehr die Folgen der inzwischen eingetretenen Personalabsenkung ausgleichen, so dass es unweigerlich zu einer Verschlechterung der Prozessqualität gekommen ist:

– es besteht keine ausreichende Zeit (Strukturqualität) zu den erforderlichen Kontakten mit Patienten

– zusätzlich hat sich die Menge der zu behandelnden Patienten zwischen 1991-2004 um 80% erhöht

– gleichzeitig ist der administrative (patientenferner) Aufwand durch zusätzliche Dokumentationsanforderungen und durch Zunahme an Anfragen/Überprüfungen seitens der Kostenträger und der MDKs im gleichen Zeitraum um mindestens 30% gewachsen

– durch Veränderungen der Ausbildungsordnungen beim therapeutischen Personal (Psych-PV-Berufsgruppen) und die positive wissenschaftliche Weiterentwicklung sind die Erfordernisse an Aus- und Weiterbildung erheblich gestiegen, können aber mangels ausreichenden Zahl des therapeutischen Personal nicht „nebenher“ vermittelt und in therapeutische Alltagsstrategien etabliert werden

– die Summe der Verknappungen führt zu Reduzierung von Ausbildung, Psychoedukation und Kooperation (in den Gemeindepsychiatrischen Verbünden)

– als Ergebnis ist in einem künstlich (durch Budgets) geschaffenen knappen Zeitkontingent (Strukturqualität) eine erhebliche Abnahme der im Behandlungsplan erzielten Effekte (Prozessqualität) zu beklagen und die Rückkehr zu vermehrten Verordnung von Psychopharmaka zur Ruhigstellung (anstelle Personalbetreuung) festzustellen

– durch diese nicht mehr ausreichende Ressourcen werden wieder vermehrt chronisch psychisch kranke Menschen „produziert“ (siehe Zunahme der Berentungen bei psychisch kranken Menschen) und die Rückkehr zu den inhumanen Zuständen aus der Zeit der Psychiatrie-Enquete von 1975 in Kauf genommen

Diese besorgniserregende Entwicklung ist eingetreten, obwohl die volkswirtschaftliche Bedeutung psychischer Erkrankungen beträchtlich zugenommen hat, wie an der steigenden Zahl von Arbeitsunfähigkeitstagen und Frühberentungen aus psychischen Gründen erkennbar ist. In nicht weiter Ferne (nach UNO 2012-2020) werden einige der psychiatrischen Diagnosen weltweit ihre Positionen unter den TOP 10 der Diagnosenstatistik einnehmen und stabilisieren.

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