Ausgrenzung durch Erhebungsbogen

Der Strukturerhebungsbogen des InEK, so wie er Anfang September 2009 an einige Häuser versendet worden sei, ist ja grauenvoll. Was sich die Schreibtischtäter wieder zur Knechtung der Psychiatrie ausdenken. Anstatt die Psych-PV und deren Finanzierung an die erschwerten Bedingungen der Gegenwart und die Erwartung in der Zukunft anzupassen, werden wieder Fragen gestellt, hinter denen eindeutig eine Reduzierungsabsicht von Leistungserstattungen oder Fortsetzung der Subventionierung der Somatik durch die Krankenhauspsychiatrie steht. Wenn man danach fragt, wie viele Patienten aus der PIA in die vollstationäre Behandlung eingeliefert wurden, dann will man nur wissen, wann und vor allem im welchen Umfang sich die PIA zur Kostenreduktion nicht ausgezahlt hat. Die Tatsache, dass wir bei einer Erkrankungssteigerung pro Jahr um 0,5% mit ganz anderen Problemen zu kämpfen haben und haben werden, scheint niemanden nationalökonomisch zu interessieren. Sobald es interessieren würde, müssten sich auch Politiker der Realität stellen. Im Moment haben wohl alle vor, die Realität umzudefinieren und passend zu machen – d.h. Illusionen zu produzieren, die keine ökonomische Verbesserung für die Allgemeinheit bringen, sondern eine Verschlechterung der gesundheitsförderlichen Bedingungen. Die Pat. vertrauen uns noch, aber wie lange. Wenn wir solche patientenfernen Fragebogen ausfüllen, dann verspielen wir das Vertrauen der Patienten, weil die und deren Probleme gar nicht abgebildet werden. Ich glaube, dass die Menschen in der Psychiatrie nicht genauso diskriminiert und kalt behandelt werden wollen, wie bereits in der somatischen DRG-Medizin üblich.
Die Zielfrage des nächsten Wachstumszyklus ist nicht, wie können Budgets noch krankenhausferner rationalisiert werden, sondern ob die psychosoziale Gesundheit einer der tragenden Basisinnovationen für den nächsten Wachstumszyklus sein wird, wie bei dem jetzt auslaufenden Zyklus es die IT gewesen ist.
Das was mir eben Sorgen macht ist die Tatsache der Schizophrenie von solchen Planungen und Untersuchungen. Sie berücksichtigen keine Realität, keine Vorbereitung einer neue Realität, sondern nur, wie gespart werden kann – die Frage, wie kann auch national ökonomisch durch Gesundheit verdient werden, wird überhaupt nicht gestellt. Es ist aber die entscheidende Frage: Wie können Patienten und die Beschäftigten in der Psychiatrie und Psychotherapie von ihren Strategien profitieren.
Von den Strategien des InEK sicher nicht. Die Beträge, die aus den Überschüssen der Psychiatrie-Abteilungen in den Allgemeinkrankenhäusern zur Stützung der defizitären somatischen Medizin benutzt werden, sollen offensichtlich nicht zur Verbesserung der psychiatrisch-psychotherapeutischen Arbeit für die Bevölkerung des Einzugsgebietes verwendet werden, sondern von vorneherein im Krankenhaus gar nicht ankommen.
Unser Ziel muss es sein, dass das Auslaufmodell der Fallpauschale der DRGs nicht auch noch kurz vor der nächsten Gesundheitsreform mal eben schnell in der Psychiatrie für einen Halbierungserlass der Spätmoderne sorgen soll.
Was wir brauchen, sind realistische, das Leben abbildende Kostenberechnungen der Gesundheit und nicht der Krankheit. Krankheit lässt sich beliebig verbilligen, wenn Gesundheit nicht interessiert. Nicht die Krankheit, sondern die Gesundheit ist der Wachstumsmarkt. Mit kranken Menschen lässt sich kein Wachstum produzieren. D.h. angesichts des demographischen Problems werden wir auf die bisher praktizierte Art immer weniger produktiv leistende Menschen haben. Wir haben bei den bisherigen Systemveränderungen immer mehr kranke Menschen kennengelernt. Die psychischen Krankheiten werden spätestens 2020 die TOP 10 Diagnosen der WHO anführen, noch vor den Kreislauferkrankungen und verursachen erhebliche ökonomische Probleme, national ökonomische Kosten. Es ist also nicht die Frage: was kostet eine Schizophrenie-Behandlung usw., sondern wie können die gigantischen Kosten der psychischen Erkrankungen in der Rechnung des Bruttosozialprodukts vermindert werden. Ganz sicher nicht mit weniger Fachpersonal und Kürzung von Ressourcen.
Noch ein Paradox ist im Zuge der Pauschalierung in der somatischen Medizin zusätzlich deutlich geworden: Die Psychiatrie ist mittlerweile das einzige medizinische Fachgebiet, in dem eine komplette Anamnese erhoben wird. Eine Basisuntersuchung, die alleine meistens zu den richtigen Fragen nach weiteren diagnostischen Wegen führt. Ich beobachte, dass es zunehmend für die Einweiser interessant wird, Patienten in die Psychiatrie weiter zu leiten, weil diese dort umfassend untersucht und differentialdiagnostisch betrachtet werden. Anschließende Verlegungen aus der Psychiatrie in die jeweils dann zuständige Fachabteilung sind keine Seltenheit. Diese Umfassende Untersuchung ist im Moment wohl das Hauptproblem: die Politiker wollen nicht, dass die Psychiatrie das wird, was sie bereits real ist – ein leitendes medizinisches Fach. Die Realität ist aber so, ob es die Politiker wollen oder nicht. Für uns kommt es dabei an, dass wir es uns klar machen, um welchen Anteil diese umfassende Betreuung der Patienten in der Psychiatrie das ganze psychisch, mental, körperlich und finanziell anstrengend machen.

Und. Wir müssen uns nicht bemühen, Burnout-Syndrome auch noch helfen zu produzieren. Oder ist es beabsichtigt, dass wir irgendwann Mal für die Regierung wieder Patienten nach psychisch krank und gesund selektieren sollen? Unheimlich. Zur Selektion braucht es keinen Hitler-Regime, es reicht schon, wenn psychisch kranke Menschen planmäßig in Hilflosigkeit der Straße oder obskuren Heimen überlassen werden. Es ist also aller höchste Vorsicht angebracht, ob wir uns an dieser modernen Art der Ausgrenzung von psychisch kranken Menschen beteiligen. Auch die moderne demokratische Gesellschaft, gerade die mit ihrem neuen Machstreben nach Effizienz kann zu gleichen Folgen führen wie die unsägliche Euthanasie – nebenbei, ungewollt und am Ende ist es einfach geschehen.

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